Die Software hinter der Verh�llung
Christo & Jeanne-Claude: Projects 1963–2020

Wie nur wenige andere K�nstler haben Christo und Jeanne-Claude mit ihren spektakul�ren Verh�llungen wie dem „Wrapped Reichstag“ unsere Vorstellungen von Kunst im �ffentlichen Raum gepr�gt. Nun ist Christo Ende Mai, wenige Tage vor seinem 85. Geburtstag, in New York gestorben. Eine Ausstellung im PalaisPopulaire dokumentiert s�mtliche Werke des Paares und zeigt, was hinter den spektakul�ren Verh�llungen steckt. Es sollte die letzte zu Christos Lebzeiten werden.
„K�nstler verkaufen Werke, mit ihrem Geld k�nnen sie machen, was sie wollen“, sagt Jeanne-Claude bei einer Vorbesprechung zu The Gates zu einem New Yorker B�rokraten. Dann holt sie aus: „Mit unserem Geld erschaffen wir Projekte. Wenn Christo mir einen Diamantenring f�r vier Millionen Dollar kaufen w�rde, dann f�nden Sie das ja auch v�llig in Ordnung. Aber zuf�llig mag ich keine Diamanten. Ich h�tte lieber The Gates, einen Running Fence oder einen Valley Curtain.“ Dies ist nur eine von vielen Dokumentar-Szenen in Antonio Ferreras Filmmontage Nomad of Art, die am 26. April 2010 anl�sslich der Trauerfeier f�r Jeanne-Claude im Metropolitan Museum gezeigt wurde und auf der Homepage des Paares zu sehen ist. Der Film dokumentiert die unglaublichen Anstrengungen und auch K�mpfe, die ihren Verh�llungsaktionen vorausgingen – die Versammlungen mit aufgebrachten B�rgern, die um ihr Farmland und ihre Parks besorgt sind, die endlosen Debatten mit st�rrischen Beamt*innen und konservativen Politiker*innen. An einer Stelle, als Jacques Chirac, der damalige B�rgermeister von Paris, die Verh�llung der Br�cke Pont Neuf ablehnt, hat Christo einen Nervenzusammenbruch, w�hrend ihn Jeanne-Claude vor laufender Kamera anfleht, eine Beruhigungspille zu nehmen. 1984 erh�lt das Paar nach neunj�hriger Verhandlung schlie�lich die Genehmigung.

„Software“ nannten sie diese Phasen, in denen sie Entw�rfe der Projekte verkauften, um sie zu finanzieren, und dabei parallel immer weiterverhandelten. Erst dann folgte die „Hardware“ – die eigentliche, ebenso aufw�ndige Realisierung der h�ufig monumentalen Verh�llungen. Die „Software“ konnte sich �ber mehrere Jahrzehnte hinziehen wie bei der Installation der orange leuchtenden Stofftore von The Gates im New Yorker Central Park oder der Verh�llung des Berliner Reichstags.

2021 wird posthum Christo und Jeanne-Claudes wohl ambitioniertestes Werk vollendet, dessen Vorbereitung ganze 58 Jahre lang dauerte. Bereits 1962 ver�ffentlichte das Paar eine erste Fotomontage zur Verh�llung des Arc de Triomphe. F�r die Verh�llung des Triumphbogens sollen insgesamt 25.000 Quadratmeter eines speziell beschichteten blausilbrigen, wiederverwertbaren Stoffs und sieben Kilometer rote Schnur verarbeitet werden. Das Centre Pompidou zeigt bereits dieses Jahr Christo & Jeanne-Claude – Paris!.

Das Berliner PalaisPopulaire zeigt mit Christo and Jeanne-Claude: Projects 1963–2020 eine intime Ausstellung, die die kreative DNA des popul�rsten K�nstlerpaares unserer Zeit beschreibt und bis zu den Anf�ngen ihrer Laufbahn zur�ckreicht. Im Mittelpunkt der Schau steht die Verh�llung des Reichstags, die den Berliner Parlamentsbau vor 25 Jahren in ein einzigartiges Kunstwerk verwandelte.

Viele Berliner*innen und Besucher*innen der Stadt werden sich noch an die Aura des verpackten Baus erinnern, als dieses Projekt 1995 endlich verwirklicht wurde. �ber 100.000 Quadratmeter mit Aluminium beschichteter Plastikstoff und �ber 15 Kilometer blaues Seil wurden ben�tigt, um das Geb�ude einzuh�llen und zu verschn�ren. Das wirkte durch den Faltenwurf des Materials dramatisch, fast wie das B�hnenbild einer Wagner-Oper, und dabei leicht und fragil, wie eine surreale Erscheinung. Die Werke von Christo und Jeanne-Claude sind kaum greifbar in ihrer Fl�chtigkeit und Transzendenz. Zugleich imponieren sie allein durch ihre Logistik, ihre Gr��e und die Ausdauer dieses Paares, das wie sonst nur Andy Warhol selbst zu einer Art Markenzeichen geworden ist: Christo mit seinem schmalen Gesicht und der Brille, Jeanne-Claude mit ihrer roten M�hne.

Hinter der medienwirksamen Seite der Verh�llungen verbarg sich ein oft �bersehener Aspekt. Die Basis der Projekte von Christo und Jeanne-Claude bildete die Idee der Partizipation. Sie bezogen die jeweiligen Communities mit ein: in Debatten und beim Aufbau der aufw�ndigen Konstruktionen, f�r die einheimische Firmen beauftragt wurden. Wohl noch nie zuvor sind so viele unterschiedliche soziale Schichten so intensiv mit abstrakter Gegenwartskunst in Ber�hrung gekommen. Und w�hrend die Verh�llungen eine kaum greifbare Sch�nheit vermittelten, nichts illustrierten, ber�hrten sie gesellschaftlich heikle Themen: die Frage nach Besitz, �ffentlichem und privatem Raum, �kologie, die Beziehung von Zivilisation und Natur. Gerade die urbanen Werke besch�ftigten sich auch mit der Idee des Monuments, mit kollektiven, historischen Erinnerungen. Schon bei der Verh�llung des Pont Neuf 1985 ging es um Geschichte, Nation und Patriotismus. Das f�hrte zu erbitterten Debatten, wie beim Reichstag in Berlin, bei dem deutsche Politiker das Projekt immer wieder als piet�tlos ablehnen.

Seit 1971 k�mpften Christo und Jeanne-Claude um dieses Projekt, das immer wieder abgeblockt und boykottiert wurde. Erst nach dem Fall der Mauer kam die Debatte mit gro�er Unterst�tzung der damaligen Bundestagspr�sidentin Rita S�ssmuth und Briefen an alle 662 Abgeordneten wieder in Gang. Prominenteste Gegner waren Helmut Kohl und Wolfgang Sch�uble, der Jahre sp�ter seinen Irrtum einr�umte. 1995 traf diese Installation im wiedervereinten Berlin den Nerv der Zeit. �ber 5 Millionen Besucher aus aller Welt kamen.

Die Arbeiten in Christo and Jeanne-Claude: Projects 1963–2020 dokumentieren, wie genau die K�nstler die jeweilige architektonische und geografische Situation austaxierten, wie sie wieder und wieder mit Materialien, Farben, Schn�rungen und Faltenw�rfen experimentierten. Zusammengetragen wurden die Werke in der Ausstellung von Ingrid und Thomas Jochheim, die Christo und Jeanne-Claude 1994 kennenlernten und mit ihnen seitdem freundschaftlich verbunden waren. S�mtliche Verh�llungsprojekte wurden ausschlie�lich durch den Verkauf von Vorstudien, Originallithografien und Editionen getragen. Christo und Jeanne-Claude lie�en sich nie von gro�en Firmen sponsern. Man k�nnte ihre Aktionen mit einem Grassroots-Movement vergleichen, bei denen ein fester Stamm von Aktivisten und Unterst�tzern heranw�chst, die sich kontinuierlich f�r die Sache einsetzen. Die Jochheims sind solche Unterst�tzer. Heute ist das Sammlerpaar aus Recklinghausen im Besitz von Vorstudien und Unikaten zu s�mtlichen Projekten. Beginnend mit in Plastik verh�llten Zeitschriften von 1963 und Entw�rfen f�r die Store Fronts, nachgebaute, mit T�chern verh�ngte Ladenfronten, mit denen Christo 1965 die New Yorker Kunstszene eroberte. Ende der 1960er-Jahre realisierte er dann gemeinsam mit Jeanne-Claude Wrapped Coast, das erste gro�e Land-Art-Projekt, bei dem ein 2,4 Kilometer langer K�stenstreifen in der N�he Sydneys mit 92.900 Quadratmetern Folie verh�llt wurde. Weitere spektakul�re Landschaftsprojekte folgten, ein riesiger oranger Vorhang, der 1972 eine Felsschlucht in Colorado zuh�ngte, und der ber�hmte, 40 Kilometer lange Running Fence. Die Surrounded Islands, die Christo und Jeanne-Claude Anfang der 1980er-Jahre vor der K�ste von Miami mit Magenta-farbigen Folienbahnen eins�umten, wirkten aus der Luft wie monumentale Seerosen auf dem Wasser – eine moderne Interpretation von Monet. Und auch die 3.100 riesigen blauen und gelben Schirme, die Christo und Jeanne-Claude 1991 f�r The Umbrellas parallel im japanischen Ibaraki und in Kalifornien aufstellten, verwandelten die Landschaften in dreidimensionale Gem�lde.

Christo and Jeanne-Claude: Projects 1963–2020 zeigt die Arbeit hinter diesen Momenten. „Die 14 oder 16 Tage, in denen das Werk dem Publikum zug�nglich ist, sind nicht der Zeitraum, in dem das Werk existiert“, sagte Christo. „Bei der Realisierung eines Projekts wird eine gro�e Energie freigesetzt – man sp�rt die enorme Dynamik, wenn man vor etwas steht, das so viele Jahre f�r seine Entstehung gebraucht hat.“ In Berlin ist nun also dieser andere Teil des Werkes zu sehen – nicht nur f�r Fans, sondern f�r jeden, der die Kunst dieses au�ergew�hnlichen Paares erleben m�chte, das am selben Tag geboren wurde und ein ganzes Leben zusammenarbeitete.

Christo and Jeanne-Claude
Projects 1963–2020

bis 17.08.2020
PalaisPopulaire, Berlin